Veröffentlichungen: Hörisch
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Rezension: Jochen Hörisch: Der Sinn und die Sinne. Eine Geschichte der Medien |
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Die Andere Bibliothek Band 195. Herausgegeben von Hans Magnus Enzensberger. Eichborn Verlag. Frankfurt/Main 2001 Das Buch, von dem hier die Rede ist, ist nicht in einer beliebigen Buchreihe erschienen. Es ist die Rede von Jochen Hörischs Parforce-Ritt durch die Mediengeschichte unter dem Titel „Der Sinn und die Sinne. Eine Geschichte der Medien“. Und erschienen ist das Buch in der renommierten Reihe „Die andere Biblothek“, die kein geringerer als der deutsche Lyriker und Publizist Hans Magnus Enzensberger verantwortet. Seit nunmehr 16 Jahren erscheint in dieser „Bibliothek“ jeden Monat ein weiterer Band, thematisch nur vom Geschmack des vielseitigen Herausgebers und seiner treuen bibliophilen Fangemeinde zusammengehalten: Historische Romane stehen da neben Essays, Experimentelles neben Wissenschaftlichem. Gemein ist all den mittlerweile 195 Bänden nur eines: Es sind schöne Bücher! Alle sind sorgfältig lektoriert (was im deutschen Buchwesen nicht mehr der Normalfall ist), luxuriös ausgestattet und illustriert, nach traditioneller handwerklicher Art im Bleisatz gesetzt und fadengebunden. Die ersten tausend Exemplare einer Auflage werden sogar als handgebundene Lederausgabe herausgegeben. Jedes Exemplar ist numeriert wie ein Kunstwerk. Jochen Hörischs Buch zur Mediengeschichte verhält sich zu diesem handwerklichen Aufwand paradox: Bücher, die sich im letzten Jahrzehnt in Deutschland mit der gerade entstehenden Wissenschaft von den Medien und vor allem von den „Neuen Medien“ beschäftigten, tönten vollmundig vom „Ende des Buchdruckzeitalters“, vom „Ende der Gutenberggalaxie“. Computer und Internet waren das Thema dieser jungen Disziplin. Und mit der Verve, mit der Rebellen auch im Medienzeitalter zu Werke gehen, wurde alles, was nicht digital oder digitalisierbar war, verdammt und in Grund und Boden programmiert. „Ich lese keine Romane mehr, ich lese nur noch Computerhandbücher“, sagte Friedrich Kittler einmal, einer der Gründungsväter der Neuen Medienwissenschaft in Deutschland. Und Norbert Bolz, Ästhetikprofessor an der Universität Essen, sekundierte mit zeitdiagnostischen Einsichten wie der, daß das beginnende Computerzeitalter gleichzeitig das Ende des Humanismus bedeute. Jochen Hörisch ist klüger als Norbert Bolz und er will mehr als Friedrich Kittler: Er will die Geschichte der Medien Revue passieren lassen, und das buchstäblich von Anfang an: er beginnt beim „Big Bang“, dem Urknall, und durchschreitet die Menschheitsgeschichte im Spiegel ihrer Medien. Der Stimme und dem menschlichen Sprachvermögen wird darum ebenso Aufmerksamkeit geschenkt wie den ersten Höhlenmalereien. Der Entstehung der Schrift in Ägypten und im Zweistromland wird ein ebenso umfangreiches wie kenntnisreiches Kapitel gewidmet. Jochen Hörisch weiß, daß sein Verfahren riskant ist. Denn unter Medien wird gemeinhin doch etwas anderes verstanden, nämlich weniger: „die Medien“, das sind Presse, Funk und Fernsehen. Und in jüngerer Zeit Computer und Internet. Und diesen „Medien“ im engeren Sinne widmet der Autor denn auch den größeren Teil seines Buches. Dabei kommen die technischen Aspekte dieser Mediengeschichte nicht zu kurz. Hörisch läßt aber keinen Zweifel daran, daß ihn eine andere Frage viel mehr interessiert: Die Frage nämlich, wie Medien Bedeutungen konstituieren, wie über Sinneswahrnehmungen ein „Sinn“ gemacht wird. Mit seinem Credo schließt sich Hörisch dabei dem amerikanischen Medientheoretiker Marshall McLuhan an, der schon in den sechziger Jahren verkündete: „The medium is the message“ das Medium selbst ist seine eigene Botschaft. Hörisch übersetzt das so: „Die Welt des Analphabeten ist eine andere als die des Bewohners der Gutenberg-Galaxie als die des Televisionäres als die des Internet-Surfers. Und zwar weitgehend unabhängig davon, was der Bewohner der Gutenberg-Galaxis liest oder der Fern-Seher sieht und hört“. (S.71) Hörischs Mediengeschichte ist also eigentlich eine Geschichte der Bedeutungen. Dieses Projekt verfolgt der Wissenschaftler schon länger. In den achtziger Jahren sorgte er mit einer kleinen Schrift für Aufsehen, die „die Wut des Verstehens“ hieß und die These vertrat, daß literarische Texte überhaupt keine tiefergehende Bedeutung hätten, die sich durch Interpretieren erschließen ließe. Groll zog er sich damit besonders bei einem Großteil seiner Kollegen aus der Literaturwissenschaft zu, die an Schulen und Universitäten nichts anders tun als Texte nach tieferen Bedeutungen abzusuchen und dies als kulturstiftende Tätigkeit verstehen. Hörischs Mediengeschichtsbuch „Der Sinn und die Sinne“ hat das Zeug dazu, das bisherige Standardwerk von Friedrich Kittler, „Grammophon, Film Typewriter“, in der Gunst der Leser abzulösen. Leider teilt Hörisch mit Kittler eine gewisse Vorliebe für den Dekonstruktivismus der neuen französischen Philosophie. Und damit einhergehend auch für eine Sprache, die manchmal lieber assoziativ und etymologisierend ist als präzise und argumentierend. Sein Hang zum Wortspiel nimmt dann so sehr überhand, daß er sich bei seinen Lesern schon dafür entschuldigen muß, denn es entstehen Formulierungen wie: „Im Ursprung ist ein Sprung, der Sound macht“. Auf der anderen Seite steht die Medienwissenschaft á la Hörisch auch für einen wissenschaftlichen Paradigmenwechsel. Auch Wissenschaft selbst verkündet dann keinen letzten Sinn mehr, der nicht mehr zu hinterfragen wäre. Stattdessen macht sie sich angreifbar und damit diskutierbar. Und das ist nicht das schlechteste an dieser Art Wissenschaft. Jochen Hörisch läßt keinen Zweifel daran, daß er den Dissenz dem Konsenz vorzieht. Und mit dem Autor über seine Thesen zu streiten, ist bestimmt ein ganz eigenes Vergnügen. Denn schon sein Buch ist eines. von Micha Hektor Haarkötter, Sdg. Deutsche Welle 2001 (Arabisches Programm),Red.: Fares Youwakim |
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