Veröffentlichungen: Kahuna

Buchbesprechung:

Nika Bertram:
Der Kahuna Modus

von Micha Hektor Haarkötter

Irgendjemand hat einmal die Literatur mit einem Teppich verglichen: ein starkes buntes Gewebe, aus dem überall Fäden hervorstehen, die in verschiedenste Richtungen weisen.

Nika Betrams Debut-Roman „Der Kahuna Modus“ ist so ein Teppich: Seine Erzählfäden gehen in tausenderlei Richtungen, eine Handlung im klassischen Sinne läßt sich nur schwer ausmachen. Dafür werden dem Leser und der Leserin alle möglichen und vor allem unmöglichen Geschichten geboten, „Märchen aus tausend und einer Nacht“ fürs Internet-Zeitalter.

Ja, in Deutschland gibt es ein neues Interesse an Literatur. Die Deutschen lesen wieder, und die Deutschen schreiben wieder. Dafür steht  eine Riege junger Nachwuchs-Autorinnen und –Autoren, die mit Betrachtungen aus der Pop-Szene und unterhaltsamen Anekdoten über die industrielle Warenwelt teils beträchtliche Auflagen-Erfolge erzielen konnten. Eine Schriftsteller-Generation wächst heran, die jetzt zwischen 20 und 30 Jahren alt ist, und die wie selbstverständlich die US-amerikanischen Fernsehserien der siebziger Jahre, Superhelden-Comics und alle Band-Mitglieder von Genesis bis zu den Backstreetboys zu ihrem allgemein verbindlichen Bildungskanon zählt. Computer sind für diese jungen deutschen Autoren längst selbstverständliche Alltagsgegenstände, von denen sie ebenso schreiben wie von den Modeaccessoires der internationalen „Haute Couture“, auch wenn sie sie vielleicht nur vom Hörensagen, das heißt aus dem Fernsehen, kennen. Dafür bleibt der Eifer der sprachlichen Gestaltung oftmals auf der Strecke. Literatur ist kein „sprachliches Kunstwerk“ mehr, sondern ein Unterhaltungsprodukt wie eine Schallplatte oder CD.

Nika Bertram mit ihrem Roman „Der Kahuna Modus“ gehört nur auf den ersten Blick zu dieser neuen Generation dazu: Zwar ist sie mit ihren 30 Jahren im richtigen Alter, um mit ihren schreibenden Altersgenossen verwechselt zu werden. Und sie teilt mit ihnen  die Nähe zur Popmusik und zum Comicstrip. Damit hören die Gemeinsamkeiten aber auch schon auf.

Worum geht es in dem Roman?

Die Hauptfigur des „Kahuna Modus“ ist die arbeitslose Comiczeichnerin Nadine, deren Leben aus dem Ruder läuft. Schon ihre Familiengeschichte ist vertrackt. Ihre Mutter eine deutsche Aushilfskellnerin in einem Ausflugsschiff auf dem Rhein, ihr Vater ein französischer Tunichtgut aus der Bretagne, der irgendwann im Keller Selbstmord begeht. Ihr Stiefbruder ein sozial inkompetenter Computerfreak. Als Nadine sich ausgerechnet in die Freundin ihres Bruders verliebt, beginnt ein Rollenspiel, das schnell zu einem literarischen Vexierspiel mutiert. Die Comicautorin wird selbst zu einer Comicfigur, verwandelt sich in allerlei Tiere, Monster und Fabelwesen. Dabei sind die Anspielungen an die Klassiker der deutschen und der europäischen Literatur augenfällig und an vielen Stellen im Text auch wortwörtlich markiert. Kafka ist natürlich an erster Stelle zu nennen, dessen Anti-Held Gregor Samsa sich eines Tages in einen riesengroßen Käfer verwandelte. Shakespeare mit seinen großen Phantasmagorien im „Sommernachtstraum“ und im „Sturm“. Besonders aber der antike römische Dichter Publius Ovidius Naso steht für diesen jungen deutschen Roman Pate. Sein Versepos „Metamorphosen“ behandelt die Verwandlungssagen der römischen und griechischen Mythologie, in der Götter sich in Schwäne, Schweine oder Stiere verwandeln konnten, um die Menschen heimzusuchen.

Der Roman „Kahuna Modus“ treibt dieses Spiel mit den Transformationen auf die Spitze. Körper-, Geschlechter- und Rollentausch der allzu menschlichen Protagonistin stehen hier für ein uraltes Thema gerade in der deutschen Literatur: der Suche nach der eigenen Identität, nach der Stellung des Ich in der Gesellschaft.

Diese Suche führt heute zweifellos auch durch die Um- und Abwege der Computernetze. Das Wort „Kahuna“ aus dem Titel des Romans ist Hacker-Jargon. „Kahuna“ bedeutet in der Sprache Hawaiis, aus der es entlehnt ist, Zauberer oder Guru. Und als Widmung ist dem Roman ein Zitat des englischen Sciencefiction-Autors Arthur C. Clarke vorangestellt, der auch die Vorlage zu dem berühmten Kinofilm „2001 – Odysee im Weltraum“ schrieb: „Magic is just advanced technology“ – frei übersetzt: „Zauberei ist auch nur eine Form fortgeschrittener Technik“. Die Magie, die in Nika Bertrams Roman angewandt wird, ist eine Sprachmagie: Hier wird beinahe altmodisch mit, ja: dichterischen Mitteln an der Unterscheidung von Realität und Fiktion, von Traum und Wirklichkeit gekratzt. Leserinnen und Leser überschreiten damit selbst eine Grenze und werden ermutigt, an der Geschichte mitzustricken. Und das auch in praktischer Hinsicht: Auf der Internetseite www.kahunamodus.de sind alle Websurfer eingeladen, in einem Computerspiel in eine der Rollen des Romans zu schlüpfen und so ein Teil der Geschichte zu werden. Und die gedruckte Ausgabe ist typographisch so anspruchsvoll gestylt, daß verschiedene Handlungsebenen auch in verschiedenen Typen gesetzt sind. So wird auch graphisch verdeutlicht, daß hier viele Erzählerstimmen am Text mitweben.

Denn der Begriff des „“Netzwerks“ führt in dem Roman viel weiter als nur zum inzwischen alltäglichen Computer-Netzwerk. Der Text selbst wird zu einem Netz, das seine Fäden quer durch die Literatur- und Menschheitsgeschichte spinnt. 

Vielleicht ist Literatur ja wirklich eine Art fliegender Teppich, der uns in andere Welten trägt: bunt und unbekannt. Die junge deutsche Autorin Nika Bertram ist dabei behilflich.

von Micha Hektor Haarkötter, Sdg. Deutsche Welle 2002 (Arabisches Programm),Red.: Fares Youwakim

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