„Eine Geschichte des Notierens, so sie denn je geschrieben wird“, bemerkt Peter Burke beiläufig in seinem Buch Papier und Marktgeschrei (2001), „würde einen wertvollen Beitrag zur Geistesgeschichte liefern.“
Nun gibt es sie: Die erste Kulturgeschichte des Notizzettels und gleichzeitig eine Philosophie dieses unscheinbaren Mediums. Denn Notizzettel – Einkaufszettel, Spickzettel, Schmierzettel, Skizzen, Entwürfe, Karteikarten, Haftnotizen, Wandkritzeleien – sind der erste Haltepunkt vom Gedanken zum Geschriebenen: Ich denke, also notiere ich. Wer den Menschen beim Notieren zusieht, der kann ihnen beim Denken zusehen.
Erstmals wird die Kulturgeschichte des Notizzettels von den dunklen Anfängen bis in die unklare Zukunft erzählt und gleichzeitig dessen Theorie formuliert. Ob als Knochengerüst der Literatur, als Laborbuch der Naturwissenschaften oder als handgeschriebene Notiz im zeitgeistigen Notizbuch: Der Notizzettel ist Hard- und Software in einem, nicht nur ein Medium des Denkens, sondern vielleicht das Denken selbst.
Ein nichtiges Medium? Vielleicht. Allerdings stellt Magnus Wieland in seiner Rezension für die Zeitschrift editio fest: "Es mag sein, dass ein Einkaufszettel von sich aus nichts mitteilen will, doch er lässt sich – wie Haarkötter in einer nobelpreisreifen Interpretation selbst demonstriert – mit Gewinn lesen".
Das Buch schließt eine Lücke, die bisher überhaupt noch niemand vermisst hat, und geht zwei so spektakulären wie spekulativen Hypothesen nach: Medien sind nicht zum Kommunizieren da, und Medien sind auch nicht zum Erinnern da! Mit auf die Reise durch die schillernde Welt der Notizzettel gehen Lionardo da Vinci, Ludwig Wittgenstein, Astrid Lindgren, Robert Walser, Hans Heberle, Georg Christoph Lichtenberg, Arno Schmidt, Herta Müller, Niklas Luhmann uvm.
Es steht zu hoffen, dass die Leserinnen und Leser nicht jene Erfahrung machen werden, die Niklas Luhmann auf Notiz Nr. 9/8,3 seines Zettelkastens formuliert hat: „Geist im Kasten? Zuschauer kommen. Sie bekommen alles zu sehen und nichts als das – wie beim Pornofilm. Und entsprechend ist die Enttäuschung“.
"Eines der großen Bücher dieses Herbstes und dieses Winters", urteilt der Schriftsteller Hanns-Josef Ortheil: "Wenn ich der Juror der Leipziger Buchmesse im Bereich Sachbuch gewesen wäre, das hier wäre es gewesen".
Hektor Haarkötter: Notizzettel. Denken und Schreiben im 21. Jahrhundert. Frankfurt/Main (S. Fischer) 2021, 592, 20 Abb., 28,- €, ISBN: 978-3-10-397330-3
Magnus Wieland in Editio, Bd. 35, H.1, 2021
"Er stellt eine Kommunikationsform
dar, bei der der Adressat oft mit dem Verfasser identisch ist: der Notizzettel. Der Kommunikationswissenschaftler Hektor Haarkötter hat jetzt ein Standardwerk dazu geschrieben. Und es ist ein Buch geworden, von dem man durchaus Notiz nehmen sollte. In dem für solch einen kleinen Gegenstand erstaunlich umfangreichen Buch („Notizzettel. Denken und Schreiben im 21. Jahrhundert“ umfasst 592 Seiten) widmet Haarkötter sich Einkaufs-, Spick- und
Schmierzetteln ebenso wie Wandkritzeleien, Haftnotizen und dem berühmten Zettelkasten des Bielefelder
Soziologen Niklas Luhmann".
Hannover'sche Allgemeine, 03.08.2021
"Doch trotz oder auch gerade wegen der Digitalisierung behauptensich Post-its und andere Notizzettel in unserem Alltag. Sie kommen sogar zu Ehren, zu denen sie in der analogen Ära vielleicht nie gekommen wären: Ein ganzes Buch handelt jetzt von ihnen. Mit reichlich Kommunikations- und Medientheorien, die einen aber nicht unbedingt besonders interessieren müssen, weil der Autor über Geschichten zu seinen Theorien wandert – und diese Geschichten allein sind anregend genug".
Die Presse Wien, 05.08.2021
"Wir alle verzetteln uns, umso mehr, als wir uns im Digizän, das das Schreiben und die Handschrift entkoppelt, befinden. Notieren aber ist Denken mit anderen Mitteln. So einfach, so spannend ist Haarkötters Erkenntnis".
taz vom 09.10.2021